Im Rahmen der Pressevorstellung des neuen Audi RS6 hat uns dessen verantwortlicher Designer Stephan Fahr-Becker zu einem Rundgang um seinen RS6 eingeladen, um uns die Design Highlights zu demonstrieren und ein bisschen über den Alltag eines Autodesigners zu plaudern.
Philip:
Stephan, für was bist Du bei Audi verantwortlich und was sind für Dich die Design-Highlights des neuen RS6 Avant?
Stephan:
Ich bin zuständig für die Designumfänge aller S- und RS-Modelle, sowie für die S-Line. Aber ich bearbeite auch andere Projekte, davor habe ich zum Beispiel an zwei Showcars mitgearbeitet.
Der neue RS6 Avant ist ein Projekt, an dem ich wirklich von der ersten Skizze bis zum letzten Technikgespräch alles von Designseite betreut habe. Da ich ein sehr großer Autofreak bin, ist es für mich etwas ganz besonderes, dieses Projekt geleitet zu haben und jeden Quadratzentimeter des Exterieur Designs zu kennen. Lasst uns gleich mal vorne an der Frontpartie des Autos anfangen. Was mir ganz besonders gefällt ist, dass der RS6 ein Wolf im Schafspelz ist. Er basiert ja auf dem A6 Avant, hat aber zum Beispiel die sehr stark ausgestellten Kotflügel. Es war uns von Designseite her sehr wichtig, diesen Unterschied zwischen dem Basis A6 und dem RS6 möglichst extrem zu gestalten. Zum Vergleich: Beim Porsche 911 Carrera gibt es auch das Standard-Modell und eine breitere Version, den Carrera 4S. Dieser Unterschied des Radabstands zwischen den beiden Modellen ist bei uns aber fast doppelt so groß, wie beim Porsche.
Von der Seite betrachtet, haben wir im unteren Bereich einen neuen Schweller. Sehr schön sind auch die optionalen 21 Zoll Felgen. Wir als Designer, das kennt ja jeder, machen bei den Skizzen die Räder immer sehr groß, die Kotflügel schön breit und das Glashaus oben drauf möglichst schmal, um diesen sportlichen Charakter zu bewirken. Dass dieses Auto jetzt tatsächlich die Räder in diesem großen Format hat, lässt ein Designerherz höher schlagen, weil es so von der Seite wirklich wie ein Design-Sketch aussieht.
Wenn wir zur Heckpartie gehen, haben wir unten, ganz wichtig, den im Vergleich zu den Vorgängermodellen sehr sportlichen Diffusor. Und beim optional erhältlichen Carbon-Paket haben wir nochmal einen drauf gesetzt: Der Diffusor ist dann hinten komplett aus Carbon und noch extremer geformt, denn das Carbon-Paket ist nicht mit der Anhängerkupplung kombinierbar, die uns normalerweise einen gewissen Schnitt vorschreibt. Wir haben ihn auch extra weiter nach hinten ausstehen lassen, damit man das Carbon schön von oben sehen kann. Das ist auch ein Beispiel dafür, dass der Kunde die Möglichkeit hat, selbst zu entscheiden, ob er sein Auto optisch eher reservierter oder doch sehr expressiv haben möchte.
Philip:
Du hast diese Elemente wie Spoiler und Diffusor vor allem aus Designersicht erklärt. Haben diese Teile denn auch abgesehen vom Design einen Zweck, erfüllen also eine technische Funktion oder sollen sie das Auto einfach nur sportlicher aussehen lassen?
Stephan:
Darauf legen wir bei den neuen RS-Modellen noch mal ein spezielles Augenmerk. Denn wir wollen nicht im Exterieur zusätzlich Carbon einfach irgendwo drauf kleben und wenn man dann genau überlegt, wäre das Auto eigentlich leichter ohne, auch wenn es nur ein paar Gramm sind. Aber das hätte dann eben nur diesen Verzierungscharakter. Nein, wir wollen, dass die Vorteile dieses Materials wirklich zum Tragen kommen. Carbon ist sehr leicht und extrem verwindungssteif. Es sieht natürlich auch schön aus und transportiert perfekt diesen sportlichen Charakter, aber wir wollen eben die Materialechtheit pushen. Und selbstverständlich sind diese großen Luftöffnungen im Frontgrill auch rein von der Größe her technisch tatsächlich gefordert, das ist kein Klimbim, sondern hat alles wirklich seinen Sinn. Auch die äußeren Blades funktionieren als eine Art Vorspoiler, der die Luft möglichst früh anliegen lässt, wenn sie um das Auto herum geführt wird, sodass auch eine größere Maximalgeschwindigkeit möglich ist. Der lange Dachkantenspoiler und der Diffusor hinten sorgen für Abtrieb, haben also auch einen Nutzen. Sonst wäre das ja alles nur Zierrat. Darunter würde der intellektuelle Anspruch sehr stark leiden und das passt einfach nicht zur Marke Audi.
Philip:
Da Coultique ja in erster Linie kein Technik Blog ist, sondern es sich vor allem um Mode und Design dreht, ist es für unsere Leser sicher interessant, auf welche Hürden ein Designer bei einem industriellen Projekt wie diesen hier trifft. Es gibt da ja sicher sehr viele Erfüllungsvorgaben von verschiedenen Seiten: Technische Vorgaben und gesetzliche Bestimmungen, die eingehalten werden müssen, Designvorgaben der Marke Audi, das Auto muss ja einen Wiedererkennungswert haben und dann die persönliche Kreativität des Designers, die er mit einspielen lassen möchte… Wie bekommt man all diese Ziele, die ja durchaus konträr sein können, als verantwortlicher Designer unter einen Hut?
Stephan:
Ja, das ist die Challenge überhaupt, das ist mit Sicherheit nicht zu vergleichen mit Prêt-à-Porter Mode. Es gibt ja die Showcars auf den Messen, die etwas weiter in die Zukunft blicken. Da ist man dann technisch nicht ganz so gebunden, wie bei einem Projekt, was wirklich in Serie umgesetzt wird, wo technische Punkte, Kosten usw. Beachtung finden müssen. Das kann man dann noch eher mit Modeindustrie vergleichen.
Aber hier ist es eben anders, deswegen halte ich mich jetzt auch nicht für einen Künstler, sondern es ist wirklich angewandtes Design für eine Marke, die technisch orientiert ist. Aber da wird intern viel gefightet, jeder versucht, seine Ideen durchzusetzen, da geht es manchmal zu wie auf dem Jahrmarkt. Letztendlich sind es dann natürlich die Vorstände, die alles entscheiden und man hofft, dass sein eigener Vorschlag durchgeht.
Aber umso schöner ist es dann, wenn es irgendwann, so wie dieses Projekt jetzt, abgeschlossen ist. Ich habe damit anderthalb Jahre lang eigentlich jeden Tag verbracht. Und dann sieht man vielleicht einmal jemanden neben sich an der Ampel stehen, der das Auto hat und man selbst hat dann nur ein kleineres Auto (schmunzelt), weil man sich das natürlich alles nicht so leisten kann… Aber man freut sich trotzdem, dass die Leute ihren Spaß haben. Das ist genauso, wie wenn ein Modedesigner die Menschen auf der Straße mit dem Mantel herumlaufen sieht, den er selbst entworfen hat und es gut auf der Modenschau ankommt.
Philip:
Als Abgrenzung zur Modeindustrie, wie eng muss bei einem Industriedesign-Projekt wie diesem die Zusammenarbeit zwischen Designer und den technischen Ingenieuren sein?
Stephan:
Definitiv sehr eng. Viele haben da natürlich eine überhöhte Vorstellung, die auch immer gerne in der Werbung zelebriert wird. Da sind dann Autodesigner, die auf irgendeiner Glasplatte herummalen, durch die gefilmt wird. Das macht natürlich kein Mensch. Wir sitzen auch nicht permanent mit schwarzem Rollkragenpulli in einer riesigen weißen Halle und geben uns unseren Ergüssen hin. Sondern es ist schon alles ziemlich zielgerichtet, es gibt enge Zeitpläne, die aber auch gar nicht schlecht sind, um die Designermentalität ein bisschen zu zäumen. Wir sind natürlich von der Mentalität deutlich anders als unsere Kollegen von der Technik. Da gibt es sicher wie überall am Anfang Vorurteile, auch gegenüber Designern. Aber wenn man dann im Projekt zusammenarbeitet und gemeinsam etwas auf den Weg bringt, womit man auch eine gemeinsame Faszination verbindet, dann schweißt das schon zusammen.
Philip:
Wie hast Du eigentlich Deine Karriere begonnen? Was muss man studieren, um Autodesigner zu werden?
Stephan:
Es gibt natürlich einige Schulen, die einen besonders guten Ruf haben im Bereich Transportation Design. Da hat man dann ein Aufbaustudium, das Industriedesign heißt, was sich nur mit dem Design von Fahrzeugen auseinandersetzt. Wenn man so etwas studiert, ist man natürlich extrem spezialisiert, das heißt man kommt dann wahrscheinlich zum großen Teil nur in der Automobilindustrie unter. Aber da gibt es nebenbei erwähnt ein Feld, was ganz interessant ist: Es gibt einige Autodesigner, die bei Schuhmarken unterkommen, also Schuhdesigner werden bei Nike, Adidas usw. Denn die beiden Gebiete, Auto und Schuh, sind designmäßig gar nicht so weit voneinander entfernt. Das hört sich jetzt seltsam an, aber die Volumen sind ähnlich und es gibt auch dieses Thema „Keilform“. Zum Beispiel der Nike Air Max rammt sich auch sportlich in den Boden rein beim Laufen, weil er eben sehr viel Keilform mitbringt. Da ist also eine übertragbare Ästhetik vorhanden.
Ich habe in Pforzheim studiert, einer „sehr schönen“ Stadt (lacht) zwischen Karlsruhe und Stuttgart. Es ist aber wirklich eine sehr gute Schule, mit sehr vielen internationalen Studenten, die sich gegenseitig stark pushen. Dann gibt es noch die RCA (Royal College of Art) in London und das Art Center in Los Angeles, das sind aber private Schulen. Pforzheim ist eben eine der wenigen Schulen, zusammen mit der Hochschule München, die das Studium öffentlich anbietet und daher keine überhöhten Studiengebühren zu zahlen sind. Dafür ist es dann aber auch manchmal ein bisschen härter, angenommen zu werden. Da war ich damals selbst ganz überwältigt, weil ich persönlich nicht der „Künstlertyp“ war, ich hatte zwar auch Kunst Leistungskurs, aber dort bewerben sich natürlich sehr begabte Leute. Da hatte ich schon ganz schön Bauchschmerzen bei der Aufnahmeprüfung.
Philip:
War es von Beginn an Dein Wunsch, Automobildesigner zu werden?
Stephan:
Ja, ich beobachte ja selbst dieses Phänomen bei Kindern von Freunden. Da sind einige schon vom kleinsten Alter an auf Autos fixiert, ohne dass man sie dazu zwingt. Selbst für mich, als absoluten Autoaffinen ist das manchmal überraschend, also da scheint ja eine allgemeine Faszination vorhanden zu sein. Bei mir war das eben genauso und deshalb war immer klar, dass ich irgendetwas im Bereich Automobil machen musste. Da ist es natürlich schön, wenn man Formgestalter sein kann. Natürlich fragte mich mein Vater, er ist Jurist, zu Beginn: „Willst Du nicht lieber etwas ‚Richtiges‘ machen?“ Aber angesichts der Tatsache, dass das Design der Autos mittlerweile Kaufgrund Nummer Eins bei den meisten Kunden ist, weil die Technik immer mehr vorausgesetzt wird, konnte ich ihn überzeugen, dass das schon ein ordentlicher Beruf ist.
Philip:
Vielen Dank, Stephan!
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Herzlichen Glückwunsch! Jetzt hat sich wohl doch ausgezahlt, dass Sie bereits als Gymnasiast immer Autos malten, anstatt aufzupassen….. *smile*